Lösung in Streitfällen

"Das Leben ist ungerecht, aber denke daran: nicht immer zu deinen Ungunsten." (John F. Kennedy)
  • Gerichtsbarkeit ausschließlich zuständig für die Durchsetzung und Vollstreckung von Ansprüchen, Berufungsinstanz existiert (noch) nicht
  • Schiedsgerichtsbarkeit zulässig, bei Konzessionsverträgen auch mit der öffentlichen Hand
  • bei der Forderungsbeitreibung stehen Instrumente der Zwangsvollstreckung zur Verfügung, auch in der einstweiligen Sicherung
  • im Unterschied zu Deutschland führt unberechtigter Widerspruch gegen Vollstreckungsbescheid zu Schadenersatz in 40%iger Höhe des Gegenstandwertes

Gerichtsbarkeit, Schiedsgerichtsverfahren und Forderungsbeitreibung

Die Gerichtsbarkeit der Türkei ist entsprechend Artikel 138 der Verfassung unabhängig und unterliegt keinerlei Weisung. Gleichzeitig sind ausschließlich die türkischen Gerichte zuständig für die Durchsetzung und Vollstreckung von Ansprüchen.

Das türkische Gerichtswesen besteht bei Straf- und Zivilsachen grundsätzlich aus zwei Instanzen: Tatsacheninstanz und Revision (temyiz) zum Kassationsgerichtshof  (Yargıtay). Eine Berufung existiert lediglich bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Im Zuge der Reformen für den Beitritt in die Europäische Union wurde am 1. Juni 2005 mit den Regionsgerichten (Bölge Adliye Mahkemeleri) eine Berufungsinstanz (İstinaf Mahkemesi) eingeführt, die noch in die Praxis umgesetzt werden muss.

Die türkische Zivilgerichtsbarkeit kennt folgende Gerichte:

  • Ziviles Friedensgericht (Sulh Hukuk Mahkemesi): vergleichbar dem deutschen Amtsgericht ist dieses Gericht mit einem Einzelrichter besetzt und verhandelt Zivilsachen mit geringeren Streitwerten.
  • Zivilkammer (Asliye Hukuk Mahkemesi): Dieses Gericht ist mit einem Einzelrichter besetzt und verhandelt Zivilsachen mit höherem Streitwert.
  • Kammer für Handelssachen (Asliye Ticaret Mahkemesi): Dieses Gericht ist mit drei Richtern besetzt und entscheidet in Handelssachen.
  • Arbeitsgerichte (İş Mahkemeleri): Sie entsprechen den deutschen Arbeitsgerichten.

Neben der gesetzlichen Gerichtsbarkeit existiert auch in der Türkei die Möglichkeit, zur Lösung von Streitigkeiten die Schiedsgerichtsbarkeit in Anspruch zu nehmen.

Die Türkei ist Mitglied des New Yorker Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedsurteile und der Genfer Konvention über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit.

Auch das Gesetz über ausländische Direktinvestitionen sieht die Schiedsgerichtsbarkeit vor. Sofern die Parteien die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen und bei Vertragsschluss den Rechtsweg der Schiedsgerichtsbarkeit vereinbaren, können sie auch bei Konzessionsbedingungen und Konzessionsverträgen mit der öffentlichen Hand unter Ausschluss der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Schiedsgerichtsbarkeit vereinbaren. Diese Möglichkeit besteht nur für Firmen aus dem Ausland oder inländische Firmen mit ausländischem Kapital.

Der Erfolg einer Forderungsbeitreibung in der Türkei kann nach in Deutschland geltenden Maßstäben prognostiziert werden.

In der türkischen Gerichtsbarkeit setzen die Vollstreckungsämter die rechtskräftigen Titel durch. Die türkische Zwangsvollstreckung kennt die Forderungspfändung, einschließlich der Pfändung in Bankkonten, auch in Form der Sachpfändung, der Immobiliarpfändung, Pfändung des Nießbrauchs und der Geschäftsanteile bzw. Miteigentumsanteile. Die Verwertung geschieht auf dem Wege der Zwangsversteigerung und des Zwangsverkaufs.

Auch kennt das Gesetz die einstweiligen Sicherungen, wenn noch kein rechtskräftiger Titel vorliegt, beispielsweise die einstweilige Verfügung, den Sicherungsarrest und den Arrest. Diese Werkzeuge finden in der Praxis effektiven Einsatz.

Dem Mahnverfahren in Deutschland vergleichbar kann ein Vollstreckungsverfahren (icra takibi) einem streitigen Verfahren vorgeschaltet werden. Im Falle der Versäumung der einwöchigen Widerspruchsfrist wird ein Titel unwiderruflich rechtskräftig. Fristen in der Türkei - häufig kurz gesetzt - sollten auch bei geringen Sprachkenntnissen und aller Unerfahrenheit besondere Beachtung finden. Auf der anderen Seite riskiert der Schuldner im Falle der Erhebung des Widerspruchs bei einer berechtigten Forderung, dass im folgenden streitigen Verfahren ein Betrag in 40 %iger Höhe des Forderungsbetrages als Schadenersatz wegen Erhebung eines unberechtigten Widerspruchs (icra inkar tazminatı) verhängt werden kann.

Wenn Geschäfte ohne Sicherungen getätigt werden, so empfehlen sich vor Abschluss des jeweiligen Vertrages ausreichende Recherchen über die Liquidität und den Ruf des Vertragspartners. Die Kosten für die Einschaltung eines Prüfungsverfahrens im Vorfeld können spätere Verfolgungskosten, deren Kosten-Nutzen-Relation infrage stehen können, entbehrlich machen.

Deutsche Gerichtsurteile können in der Türkei gemäß türkischer Zivilprozessordnung zügig anerkannt und vollstreckbar erklärt werden. Vollstreckungsbescheide sind hiervon ausgenommen.

Im Rahmen von Gerichtsverfahren sind Vergleichsabschlüsse verglichen am Maßstab der deutschen Praxis selten. Es gibt viele Gründe für diese Unterschiedlichkeit in der gerichtlichen Streitkultur, beispielsweise das fehlende Verständnis des Richters, der zu einem Vergleich hinwirken soll. Nach türkischer Überzeugung wäre ein Richter, der in einem frühen Stadium des Verfahrens eine Prognose über den wahrscheinlichen Verfahrensausgang abgeben würde, um den Parteien einen Vorschlag zur gütlichen Einigung zu unterbreiten, befangen (!). Leider wurde auch der außergerichtliche Anwaltsvergleich durch das türkische Verfassungsgericht für nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt, weil die Hoheitsgewalt für Entscheidungen in Streitfällen dem Staat obliege.

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